Befreiungstheologie

2012

Einleitung

 

Seit der Konstantinischen Wende im vierten Jahrhundert gab es auf der einen Seite eine imperiale Theologie (“Ein Gott, ein Reich, ein Kaiser”) und auf der anderen Seite – zum Teil im Protest dagegen – eine zurückgezogene, tendenziell weltfeindliche Theologie, welche das eigentliche Leben bzw. die Wahrheit im Jenseitigen sah und sowohl “Welt” als auch “Reichtum” ablehnte. Die Befreiungstheologie ist sozusagen eine dritte Alternative. Sie ist diesseitig, innerweltlich, und ihre theologische Pointe besteht in der Götzenkritik und in der Sensibilität für Leiden und Unrecht.

Sie verwirklicht genau das, was Dietrich Bonhoeffer in den Gefängnisbriefen als Aufgabenstellung für die Theologie formuliert hat: eine weltliche, d.h. nichtreligiöse Interpretation biblischer und theologischer Begriffe zu verwirklichen.[1] Und sie ist dialektisch im Sinne der ‘nachidealistischen’ Theologien, indem sie ein Gespräch, eine Auseinandersetzung eröffnet zwischen der je aktuellen Situation der Gesellschaft, der Geschichte, der menschlichen Welt einerseits mit dem biblischen Anspruch, oder wie es J.B.Metz sagen würde, mit dem Gottesgedächtnis, andererseits. Und mehr als bei anderen Theologien ist hier die Theorie selber Teil und Ausdruck der Praxis. Zu den Grundelementen gehören die Sensibilität für die Leidenden und Unterdrückten, die Kritik und Bekämpfung der Idole und Götzen des Systems, z.B. des Götzen Markt, und der aktive Aufbau des Reiches Gottes. Es wird nicht so viel von Gott geredet wie vom “Reiche Gottes”. Trotz einer negativeren Realität, der Armut und Ungerechtigkeit, äußert sich die Befreiungstheologie Lateinamerikas positiver als die meisten kritischen Theologien Europas, da dort tatsächlich die schöpferische Arbeit am Aufbau des Reiches Gottes, im Kleinen wie im Großen, als eine ganz konkrete Wirklichkeit existiert. Die Befreiungstheologie versteht sich nach Gustavo Gutiérrez als kritische Reflexion des Glaubens inmitten einer befreienden Praxis. Solche Praxis ist die Grundlage der Befreiungstheologie.

 

Das Bekenntnis von Accra von 2004[2], ein Glaubensbekenntnis protestantischer Kirchen gegen die Idolatrie und die Ungerechtigkeit des Neoliberalismus, stützt sich zu Anfang auf ein Zitat aus Jesaja 58,6: “… sprengt die Ketten der Unterdrückung und das Joch der Ungerechtigkeit, und lasst die Unterdrückten frei”. Ganz ähnlich hat Karl Marx die Religion kritisiert, insofern sie den Blumen gleiche, mit welchen die Ketten geschmückt werden, an denen die Menschen gefesselt sind; anstattdessen käme es darauf an, die Ketten zu sprengen, auf daß die Menschen die lebendigen Blumen pflücken können. So biblisch ist Marx. Und der Befreiungstheologe Pablo Richard sagte einmal, ein Götze sei das, was in der Knechtschaft tröstet, und Gott sei das, was aus der Knechtschaft herausführt. So materialistisch ist wiederum die Theologie.

 

Die vorliegende Arbeit skizziert zunächst die Geschichte der Befreiungstheologie, thematisiert dann die kirchlichen Basisgemeinden als deren ‘materielle Basis’ und nennt schließlich mit der veränderten Praxis einhergehende Ansätze des Umdenkens (metanoia), d.h. der Befreiungstheologie selber. Diese wird anschließend mit indigener Theologie ins Gespräch gebracht.

 

 

1. Geschichte[3]

 

Seit den 50er und 60er Jahren bildeten sich in Lateinamerika – obwohl diese Zeit als “Epoche der Entwicklung” galt, soziale Bewegungen und linke Parteien, Gewerkschaften und kommunitäre Bewegungen, die sich gegen ein Entwicklungsmodell des abhängigen Kapitalismus wandte, welches die Armen ausschließt. Ihr Ziel war eine gerechte und vom Volk, also von unten bestimmte Gesellschaft. Bewußte Christen innerhalb dieser Bewegungen bildeten seit den 50er und verstärkt seit den 60er Jahren bereits die ersten kirchlichen Basisgemeinden (spanisch: comunidades eclesiales de base [CEBs]). Das Attribut kirchlich mag darauf hindeuten, daß sie sich nicht von der katholischen Kirche absondern, sondern sich die Kirche aneignen. Diese Christen begannen, den Glauben innerhalb solcher sozialer und politischer Praxis zu reflektieren.

Das Zweite Vatikanische Konzil, das in 60er Jahren in Rom stattfand, bestärkte diese Bewegung von Christen. Im Sinne einer “kreativen Interpretation”, welche die in Rom gebrauchten Worte für den Kontext Lateinamerikas übersetzte, wurde beim Ausdruck “die Heilsbedeutung der Kirche für die Welt” das eher platonisch verstandene Wort “Heil” in einem handfesten Sinne als “Befreiung” und “Welt” als “die Welt der Armen” genommen.

1968 fand in Medellín, Kolumbien, die Zweite Konferenz des Lateinamerikanischen Bischöflichen Rates [Consejo Episcopal Latinoamericano (CELAM)] statt. Hier wurde zum ersten Male in Bezug auf ganz Lateinamerika die “präferenzielle Option für die Armen” genannt, welche die Kirche einnehmen müsse. Und man formulierte die Methode der Befreiungstheologie: Sehen – Urteilen – Handeln. Die Bedeutung der Methode deutet schon an, daß es sich bei der Befreiungstheologie mehr um eine Praxis denn eine Lehre handelt.

 

Kurz danach präsentierte Gustavo Gutiérrez (Peru) das erste Buch über Befreiungstheologie.

Schon die Geschichte zeigt, daß an erster Stelle eine befreiende und vom Glauben inspirierte Praxis von Christen stand, die ihrerseits aus den gesellschaftlichen Kämpfen der Epoche hervorwuchsen, und daß erst danach über den Glauben innerhalb der Praxis reflektiert wurde. In diesem Sinne definierte Gustavo Gutiérrez die Befreiungstheologie als “eine Reflexion des Glaubens ausgehend von und innerhalb der Praxis der Befreiung”.

Seit den 70er und besonders den 80er Jahren sahen die USA die Befreiungstheologie als Gefahr für ihre Vorherrschaft in Lateinamerika an, und begannen sie zu bekämpfen. Zur selben Zeit verdammte und bekämpfte auch die offizielle Römisch-Katholische Kirche die Befreiungstheologie. Ratzinger war dagegen, daß die Armen das Reich Gottes in dieser Welt aufbauen[4]. Die institutionelle Kirche handelte also mehr gemäß den Interessen der USA als auf der Seite der Armen. Dies warf für die Basisgemeinden Fragen auf, wie: was bedeutet eigentlich “Kirche”, wer ist die Kirche, worin besteht die Rolle der Basisgemeinden, und wie kann man die Kirche Roms bekehren oder “missionieren”?

 

Die Befreiungstheologie kommt von der Praxis und führt zur Praxis.

 

Zwischen den Bischofskonferenzen in Medellín 1968 und Puebla (Mexiko) 1979, die beide von großer Bedeutung für die Befreiungstheologie in Lateinamerika waren, wurden die folgenden fünf Hauptlinien kirchlicher Pastoral entwickelt:

 

1) Die präferenzielle Option für die Armen und gegen die Armut. Dies bedeutet, daß

a) die Priester, Bischöfe und andere Kleriker einfacher, ärmer, evangelischer leben sollten,

b) daß die Armen (die sog. Laien) partizipieren (a+b: ”Wenn die hierarchische Kirche ins christliche Volk eindringt und erlaubt, daß dieses in die hierarchische Kirche eindringt, indem es die Liturgie mitgestaltet, die pastorale Mission (seine eigenen Aufgaben kirchlicher und gemeindlicher Praxis) annimmt und sich durch neue “Laiendienste” mitverantwortlich macht, dann entspringt die Kirche-als-ganzes-Gottesvolk.” [Boff]), und

c) daß anstatt Almosen zu geben die Mechanismen und Strukturen bekämpft werden, welche die Reichen reich und die Armen arm machen.

 

2)Das Ziel ist umfassende Befreiung, d.h. in allen Bereichen:

ökonomisch – die Befreiung vom Hunger (Ernährungssouveränität),

politisch – die Befreiung von der Marginalisierung (vom Zustand des an-den-Rand-gedrängt-Seins),

kulturell – die Befreiung von Analphabetismus und Unwissen, und

pädagogisch – die Befreiung von persönlichkeitszerstörender Abhängigkeit (in Schule wie in anderen Lebensbereichen).

 

3) Die kirchlichen Basisgemeinden: “Basis” meint sowohl “die untersten gesellschaftlichen Schichten”, als auch “einen pädagogischen Prozeß von unten nach oben”.

 

4) Menschenrechte: In der befreiungstheologischen Interpretation geht es dabei zuersteinmal um die biblischen Menschenrechte, die Rechte der Armen und Unterdrückten, die mit Füßen getreten werden, die der “Witwen und Waisen”.

Im Sinne der Option für die Armen sind die Menschenrechte so der eigentliche Ausdruck von Barmherzigkeit, welche nicht nur Almosen gibt, sondern befreit.

Aus diesem Bewußtsein heraus entstanden in ganz Lateinamerika viele Menschenrechtszentren, ein Großteil davon durch kirchliche Träger, die sich für benachteiligte und unterdrückte Menschen und Gruppen einsetzen, für diejenigen also, deren Menschenrechte am meisten verletzt werden.

 

5) Option für die Jugendlichen: Hier geht es darum, die jungen Menschen, die häufig schon – unter Bedingungen der Ausbeutung – in den Produktionsprozeß integriert sind, zu Menschen zu machen, welche die Gesellschaft durch Befreiungsprozesse und soldarisch mit dem organisierten Volk verändern.

 

2. Kirchliche Basisgemeinden

Theologen wie Leonardo Boff und Gustavo Gutiérrez gingen von der Frage aus: Wie kann man Christ sein und von Gott, von Heil sprechen angesichts der Armen, der Elenden und der Leidenden?[5] Diese Frage führte zur Formulierung einer Theologie als Kritik an solcher Wirklichkeit. Die Substanz dieser Theologie sind aber die kirchlichen Basisgemeinden.

 

Die “kirchlichen Basisgemeinden” sind der Leib Christi, falls unter diesem üblicherweise fetischisierten Begriff eine ‘leibhafte’, konkrete, fragmentarische Praxis messianischer Erwartung zu verstehen ist.

Der historische Augenblick, in dem die Basisgemeinden entstanden, ist von zwei Krisen gekennzeichnet: die erste ist die Krise der Autorität in der institutionellen Kirche, welche sich besonders in einer brüchig gewordenen Glaubwürdigkeit von Klerus und Sakrament äußert, und die zweite ist die Krise der Anonymität der kapitalistischen Gesellschaft. Der Zeitpunkt ist von der Kirche her gesehen zwielichtig – schwankend zwischen dem verschwindenden Dämmerlicht einer Gemeinschaft, die in feudaler Erbschaft von Herren (und in der Kirche Priestern, Bischöfen, Päpsten) zusammengehalten wird, und dem immer greller werdenden Licht der atomisierten, gleichgültigen Gesellschaft aus isolierten Individuen im Kapitalismus.

Seit dem 14. Jahrhundert wurde in Europa das Feudalsystem brüchig. Während sich in den darauffolgenden Jahrhunderten in Europa Industrialisierung, Kapitalismus, Reformation, Aufklärung und Moderne entwickelten, ‘exportierte’ man (u.a. wegen der schlechter gewordenen Böden) einen großen Teil der Landwirtschaft mit samt Feudalismus, Großgrundbesitz, Latifundien und Katholizismus in die Kolonien; seit jener Zeit blieben so auch in Lateinamerika feudale Strukturen bis in die jüngste Zeit hinein bestehen.

In dem Maße aber, wie in Lateinamerika die feudalen Strukturen in Wirtschaft und zwischenmenschlicher Gemeinschaft keinen Bestand mehr haben, nehmen auch immer weniger Menschen die Autorität kirchlicher Ämter und Funktionen, welche sich seit Jahrhunderten zusammen mit der feudalen Organisation des Gemeinwesens entwickelt hatten, ernst. Aber im Kapitalismus sind die Menschen zwar formal gleich; jedoch gibt es aufgrund der Konkurrenz gegeneinander immer weniger Bezogenheit, Gemeinschaft und Praxis des Miteinander-Teilens; an die Stelle der Gemeinde eines Miteinander treten die anonyme Konkurrenzgesellschaft des Gegeneinander der Menschen und eine wachsende wirtschaftliche Ungleichheit. Und in dieser Situation erfinden die Basisgemeinden die verlorengehende Gemeinschaft, die Liebe, Bezogenheit und das Miteinander-Teilen neu, aber ohne die autoritären Strukturen der Vergangenheit noch dafür zu beanspruchen; und sie entdecken ‘Gott’ neu, jedoch nicht als einen “feudalen” Herren, sondern inmitten der gemeindlichen Bezogenheit, als Realität der Befreiung.[6]

Die kirchlichen Basisgemeinden, die sich aus Eigeninitiativen innerhalb oder auch zwischen Kirchengemeinden konstituieren, sind weder klerikal noch sakramental orientiert. Sie sind der kirchlichen Öffnung zur Welt seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verdanken, obwohl sie nicht exakt dessen Definition der notwendigen Bedingungen für eine Gemeinde folgen, die in den drei Elementen, 1. dem Evangelium, 2. der Eucharistie und 3. der Präsenz der apostolischen Nachfolge durch einen Bischof, bestehen. Man kann aber auch sagen: es handele sich um Aneignung und Umdeutung. Für die lebendige Weitergabe der Tradition und der Erinnerungen, sozusagen die mündliche Tradition der Zeugenaussagen, die bis in biblische Zeiten zurückreichen, braucht man nicht notwendigerweise einen Bischof. Weiterhin muß das Sakrament der Eucharistie nicht klerikal definiert sein. Sondern es gibt von Nichtklerikern selber durchgeführte und eigenständig uminterpretierte Feiern Feiern der Kommunion mit Mais oder Kakao. Hier wird nicht von ‘Sühneopfer’ gesprochen, sondern die Kommunion ist eine Feier, ein gemeinsames Essen, wo die Menschen, die ‘Armen’, durch die Praxis des Miteinander-Teilens ‘reich’ werden. In Acteal, einem indigenen Dorf in Mexiko, betonten die Anwesenden während einer spirituellen Feier zum Gedenken an das Massaker von 1997, bei der sie Mais-Tortillas an alle verteilten, dass sie im Gegensatz zu den Reichen das, was sie haben, teilen.

Ähnlich analysieren und interpretieren die “Laien” auch selber die Bibel, sowohl in Basisgemeinden selber, als auch in diese begleitenden Reflexionsgruppen. Dabei verknüpfen sie biblische Texte mit der von ihnen erlebten sozialen und politischen Realität. Die Bewegung der Basisgemeinden enthält daher Momente einer ‘Reformation’ (in Europa war die Reformation das Überbleibsel dortiger ‘befreiungstheologischer’ Revolutionen des 15. Jahrhunderts), indem sie der kirchlichen Hierarchie das Monopol über Wahrheit und Bibel entreißt. Nach Leonardo Boff handelt es sich bei den kirchlichen Basisgemeinden um eine Ekklesiogenese, eine Neugeburt oder Neuerfindung der Kirche. Diese Gemeinden bieten eine radikal veränderte Interpretation der Kirchenstruktur: Die Kirche konstituiert sich nicht von oben nach unten, sondern von unten nach oben. Mehrere Personen konstituieren gemeinsam eine Basisgemeinde, und viele Basisgemeinden bilden zusammen die Kirche. Die universale Kirche existiert nur in den partikularen Kirchen einschließlich Rom, wo es sich auch “nur” um eine lokale Kirche handelt. So vollzieht sich – wiederum in einer radikalen Umdeutung betrachtet – durch vielfältige Formen befreiender Praxis hindurch das universale Sakrament der Kirche als Mysterium der Kommunion.[7]

Nach Selbstdeutungen kirchlicher Basisgemeinden (Comunidades Ecclesiales de Base)[8] verstehen diese sich über die drei in der Eigenbezeichnung verwendeten Begriffe: ‘Comunidad’ (Gemeinde, Gemeinwesen oder Gemeinschaft), Kirche und Basis. ‘Comunidad’ bedeutet, daß es sich um kleine Gruppen handelt, die oft aus weniger als 20 Personen zusammengesetzt sind, damit sich jede und jeder aktiv beteiligt. ‘Kirche’ heißt vor allem, daß sie ihre Vision und ihre Handeln weit über den Horizont der eigenen Gruppe hinausgehen und sich auf die gesamte Kirche welche es zu konstituieren gilt, und auf die ganze Menschheit beziehen. Und ‘Basis’ bedeutet sowohl, daß es sich um Menschen ‘von unten’, aus der Periferie, aus der Armut, um die Marginalisierten handelt, als auch, daß genau diese Wirklichkeit der Menschen die Basis, d.h. das Fundament für alles Weitere, wie Kirche und Theologie, ist.

 

Die Basisgemeinden verwenden als Leitfaden für die Praxis immer wieder den Dreischritt “sehen – urteilen – handeln”.

 

Skizze dieser Vorgehensweise[9]:

 

1. Sehen (=fühlen) bedeutet, die gemeinsame soziale Realität zu erkennen.

a) Strukturelle Analyse

Die sozialen Probleme der Armut usw. sind nicht einfach isolierte Vorkommnisse, sondern es handelt sich um eine wirtschaftliche Struktur, wo es Klassen gibt: diejenigen, welche die Produktionsmittel wie Fabriken und Land besitzen, und diejenigen, die nur über ihre Arbeitskraft verfügen. Es wird nicht die Arbeit selber bezahlt, sondern ein Lohn, um zu überleben und weiter arbeiten zu können.

Die Armen sind nicht einfach nur arm, sondern arm gemacht, unterdrückt. Und das Gegenteil von Unterdrückung ist Befreiung.

Es handelt sich weiterhin um eine politische Struktur: die Regierenden, die Gesetze, die Politik und die Armee verteidigen nicht die Bevölkerung und deren Interessen, sondern in erster Linie das kapitalistische wirtschaftliche System.

Dazu kommt die ideologische Struktur: die Kommunikationsmedien wie Fernsehen, Radio und Zeitungen, die Erziehung und Bildung, kulturelle Ereignisse und die Religion unterstützen Ideen und eine Art zu denken und zu fühlen, welche die wirtschaftlichen und politischen Interessen des Kapitalismus verteidigen, anstatt das Leben und die Interessen der ganzen Bevölkerung auszudrücken.

b) Analyse der Kräfteverhältnisse

Hier geht es darum herauszufinden: wie und warum handelt der “Feind”, was sind seine Strategien und Kräfte? Und: wie und warum handelt das Volk/ die Bevölkerung/ die Armen? Was sind ihre Kräfte und Strategien? Und schließlich: Was können wir, Menschen der Bevölkerung, tun, um einen Schritt der Freiheit und der Organisation der Basis näher zu kommen?

 

2. Urteilen (=protestieren) heißt, den Prozeß der Unterdrückung und der Befreiung “im Lichte des Glaubens” zu sehen, d.h. im Lichte des Wortes Gottes, nämlich (1) des geschriebenen und (2) des sich zutragenden Wortes, nämlich:

(1) die Bibel aus der Perspektive der Realität der Armen neu zu lesen: “In der Relektüre der Bibel suchen wir die Energie, die unser Leben transformieren kann (Bekehrung) und die Transformation der Geschichte (Revolution)”, und

(2) die Realität der Armen aus der Perspektive der Bibel neu zu lesen: zu entdecken, in welchen Ereignissen sich die ‘Realität Gottes’ verwirklicht und in welchen nicht; in dem Sinne, daß alle Ereignisse des Friedens, der Freiheit, des Teilens … von Gott sprechen, und diejenigen, wo Repression und Unterdrückung vorherrschen, von der Abwesenheit Gottes erzählen. Im Lichte Gottes bedeutet “strukturelle Ausbeutung” “strukturelle Sünde”[10], und “private Akkumulation des Reichtums” heißt “Sünde des Egoismus”, und dort wo die Armen das Wenige, was sie haben, teilen, und erst recht dort, wo Befreiung geschieht, ist die “Gnade Gottes” gegenwärtig.

 

3. Handeln: Die Befreiungstheologie ist eine “militante, leidenschaftliche und befreiende Theologie”, die zu einer verändernden Praxis führt, welche sich differenzieren läßt in:

a) die Bekehrung des eigenen Lebens hin zu einem Leben des Kämpfens für die Befreiung,

b) die Erneuerung der Kirche: “Die Basisgemeinden, wenn sie einmal evangelisiert sind, evangelisieren die Kirche. Die Kirchen sind die Hauptverantwortlichen für die Evangelisierung der Bischöfe und sogar für wahrhaftige Bekehrungen von Kardinälen, Bischöfen, Priestern und Theologen” (Boff). Das ist eine Pädagogik “von unten nach oben”. Und man sollte, denke ich, nicht sagen, das sei aussichtslos, denn es gibt die Bischöfe, die sich bekehren, nachdem sie die Lebensrealität der Armut und der Unterdrückung bei der einfachen Bevölkerung kennengelernt haben, wie vor Jahrzehnten Erzbischof Óscar Romero von El Salvador und heute Bischof Raúl Vera López in Mexiko.

c) Aber die wichtigste Zielrichtung des Handelns ist die Transformation der Gesellschaft: über Assistenzialismus (wie die Kollekte für die Armen) und Reformismus (welcher nur einzelne isolierte Probleme zu lösen versucht) hinaus geht es um eine befreiende und revolutionäre Praxis hin zu einer “Gesellschaft, wo das Volk/ die Bevölkerung Subjekt der eigenen Geschichte sein und eine neue Gesellschaft ohne Ausgebeutete und Ausbeuter organisieren wird”.

Obwohl das Ziel revolutionär ist (eine nichtkapitalistische Gesellschaft, wo die Macht in den Händen des Volkes liegt), “sehen wir uns manchmal dazu verpflichtet, reformistische Maßnahmen zu ergreifen, wie eine Erhöhung des Gehaltes, angemessene Preise usw. zu fordern”, für öffentliche Bildung, Transportmittel, Gesundheitsversorgung einzutreten, usw. Aber auch bei solchen mehr oder weniger kurzfristig erreichbaren Zielen wird das große Ziel nicht aus den Augen verloren.

 

Und all diese Aktivitäten sind umrahmt von Gebet und Feier:

vom Gebet, um die Kraft und Klarheit zu haben zu fühlen, zu protestieren und zu handeln, und von der Feier jedesmal dann, wenn ein menschlicherer Zustand erreicht wird, ein “Schritt Gottes, der rettet”, wie bei der Befreiung der Israeliten aus dem “Sklavenhaus” Ägypten.

 

 

3. Denkansätze, Umdenken, Befreiungstheologie

 

3.1. Hugo Assmann[11]

 

Die Götzenkritik, die Kritik an den Idolen des Todes und der Unterdrückung, ist ein wesentlicher Aspekt der Befreiungstheologie, den Hugo Assmann thematisiert. Einer der Hauptgötzen des Kapitalismus ist der Markt. Dabei verteufelt Assmann nicht den Markt an sich, ja er hält sogar sich selbst organisierende Systeme für sinnvoll, sondern er kritisiert den Markt nur, insofern dieser zum Idol stilisiert wird, zu einem Gotte, der das Wohl aller Menschen garantiere. Denn in der ökonomischen Logik gebe es nur den homo oeconomicus, der nach Präferenzen einkauft (z.B. Grenznutzentheorie), aber nicht den Menschen mit (Grund-)Bedürfnissen. Dieser Mensch stehe außerhalb des Systems. Es komme darauf an, seine Würde wiederherzustellen. Und deshalb ist neben der Götzenkritik eines der wichtigsten Charakteristika der Befreiungstheologie die Sensibilität für die Leidenden. Assmann kritisiert die Tendenz des Christentums, sich an die ‘Religion’ des Kapitalismus anzupassen, und betont, daß Glaube und Spiritualität sich am zum Schweigen gebrachten Schrei der Ausgeschlossenen und Leidenden orientieren und sich auf deren Seite stellen müssen. Er sagt, daß Christentum und Kirche sich ein neues und genuines Verständnis für die häufig aus platonischer Perspektive geringgeschätzte leibhafte Realität von Schmerz und Genuß/Freude/Vergnügen/Glück des Menschen erarbeiten müssen, um dem falschen Evangelium der ökonomischen Religion des Marktes etwas entgegenzusetzen, da der Kapitalismus sonst den Schmerz der Opfer zum Schweigen bringe und zugleich seine eigene Theorie des Glücks, der Freude und des Genusses durchsetze und die Wünsche und den Körper manipuliere. Auf die Armen und deren Klage zu hören impliziere, die Realität des Menschen als Körper, Schmerz und Lust, Glück und Freude ernst zu nehmen. Der Hunger meines Nächsten sei für ihn ein materielles, aber für mich ein spirituelles Problem[12]. Die Stimme der Armen zu hören, nicht nur die Worte, sondern auch das Schweigen, sei die eigentliche Transzendenz. Die Sprache der Theologie dürfe nicht nur analytisch sein, sondern müsse aus dem gemeinsam gelebten Leben entspringen, müsse deshalb eine emotionale Dimension besitzen. Die Emotion stammt demnach nicht aus der individualistischen vereinzelten Seele, wie man im Norden denken mag, sondern aus der Begegnung und aus der Praxis. Und eine solche Praxis scheint es mir in Lateinamerika in stärkerem Maße zu geben als in Europa. Aus eigener Erfahrung sagt Hugo Assmann, daß er in der vorherrschenden Theologie in der reichen Welt keine Theologie kenne, die so klar die tötenden Götzen und das Opfertum ablehnen wie die populären Texte und Gesänge der kirchlichen Basisgemeinden in Lateinamerika. So ist neben der Götzenkritik und der Sensibilität für die Leidenden (welche ebenso die Leitgedanken des Bekenntnisses von Accra bilden) die befreiende Praxis der kirchlichen Basisgemeinden der dritte Pfeiler der Befreiungstheologie.

 

 

3.2. Gesetz und Opfer

 

Franz Hinkelammert[13] begründet die befreiungstheologische Ablehnung des Opfers mit einer kulturhistorischen Textinterpretation. Während verschiedene griechische Mythen, wie beispielsweise der des Ödipus, von einem unentrinnbaren Zwange gekennzeichnet sind, welcher vom versuchten Mord am Sohne zum tatsächlich ausgeführten Vatermord führt, ist es im hebräischen Mythos anders. Dort ist der Ausgangspunkt der phönizische Brauch, seinen Erstgeborenen zu opfern; dieses ‘tötende’ Gesetz wird im Mythos durch ‘Gottes Stimme’ durchbrochen. Abraham überschreitet das Gesetz und den Tod und handelt frei und für das Leben, sein eigenes und das seines Sohnes. So hat auch dieser keinen Grund, seinen Vater zu töten. Hinkelammert kritisiert nicht nur die spätere pristerliche Umdeutung der Abraham-Geschichte zur Legitimation des Todes und des Opfers, sondern auch die im Christentum verbreitete Deutung des Todes Jesu als (Sühne-) Opfer.

Auf ähnliche Weise hat Enrique Dussel[14] den Brief des Paulus an die Römer, und darin besonders den Gedanken der ‘Freiheit vor dem Gesetz’ und den der ‘Rechtfertigung allein durch den Glauben’ gedeutet: wenn eine Gruppe von Menschen einem tötenden Gesetz zuwiderhandelt, wie die ersten Christen im Römischen Reich (die nicht dessen Götter anbeteten) oder auch die Aufständischen unter Hidalgo (frühes 19. Jahrhundert im heutigen Mexiko), dann gibt es keine Rechtfertigung der eigenen Praxis mehr im bisherigen Gesetz, sondern “allein im Glauben”. Glaube bedeutet, vom Hebräischen her interpretiert, Vertrauen in die neue Gemeinschaft, in den neuen Konsens, ins neue gemeinsame Selbstbewußtsein. Das Vertrauen, daß das “Volk” selber eine neue historische, ‘messianische’, Wirklichkeit schaffen kann, bedeutet ‘Rechtfertigung aus dem Glauben allein’. Die ‘Zeit der Gefahr’ (nach Benjamin), die Zeit des Überganges von der Normalzeit oder der Systemzeit zur messianischen Zeit, die aber auch zum Tod führen kann, ist Bruch, ist Kairos, ist Ereignis. Das messianische Volk ist der Messias. Die messianische Zeit ist eine Verrücktheit vor dem System. Die “Zeit, die noch bleibt” (Agamben), die entweder in eine messianische Menschheit führt, oder die, wie es bisher immer geschah, befristet[15] ist, bis das “System” der Herrschaft wieder zuschlägt, ist die eigentliche Zeit der Freiheit, des Lebens. So war es, würde ich hinzufügen, mit Jesus, mit Zapata (Mexiko), mit Bonhoeffer in dessen letztem Sommer im Gefängnis, bei dem Aufbruch in der DDR vor dem Mauerfall.

Zusammen mit vielen Befreiungstheologen betonen auch die brasilianischen Theologen José Marins und Teolinde M. Trevisan[16] – dabei selber in mythologisch-theologischer Sprache verbleibend: Gott wollte nicht, daß sein “Sohn” Jesus gekreuzigt würde, noch wollte dieser selber das. Er hat das Leben und die Menschen verteidigt trotz der Gefahr, die ihm von Seiten des Systems der Macht drohte. Jesus wollte so wenig sterben, das wäre hinzuzufügen, wie Hidalgo im 19. Jahrhundert, wie Bonhoeffer 1945, wie Erzbischof Romero 1980 in El Salvador, wie Ken Saro-Wiwa 1995 in Nigeria (unter der Militärregierung und bei Mitschuld des Unternehmens Shell) und viele andere.

Bei der Theologie spielt also wie bei den Basisgemeinden die Aneignung und die Umdeutung klassischer Symbole, Begriffe, Praktiken usw. eine große Rolle, wobei diese Prozesse nicht willkürlich vorgenommen, sondern die Begriffe in einen sinnhaften historischen Kontext gebracht werden.

 

 

3.3. ‘Reich Gottes’-‘weltliche’ Interpretation theologischer Begriffe bei J. Pixley

 

Jorge Pixley skizziert in seinem Buch über Befreiungstheologie und Prozeßphilosophie[17] die historische Entwicklung der Vorstellungen vom Reiche Gottes. Er wendet sich – wie alle Befreiungstheologie – gegen eine platonische Metaphysik, wo nicht die konkrete, materielle Welt, sondern nur die Formen, die himmlischen Ideen, von relevanter Wirklichkeit seien. Und deshalb ist sein Bezug zur Historie ein ganz anderer als der etwa eines Adolf von Harnack, bei welchem die geschichtliche Analyse dazu dient, eine an sich unhistorische, religiöse, “ewige” Wahrheit dabei herauszuschälen. In der Befreiungstheologie ist daher beispielsweise eine Leben-Jesu-Forschung, die sich der aktuellen geschichtlichen Realität konfrontiert, selber Christologie. Und so sucht auch Pixley die Wahrheit des Reiches Gottes inmitten der konkreten Historie, in einer Art von Dialektik zwischen vergangener und gegenwärtiger Erfahrung.

Das ‘Reich Gottes’ war zunächst die in der Erzählung vom Auszug aus Ägypten, also aus der Perspektive von Ausgebeuteten, dargestellte Vorstellung von einer Gesellschaft ohne König. Da es im hebräischen Denken keine reine Ideenwelt gibt, sind hier Ideen oder Vorstellungen immer mit Praxis, und sei es negativer Erfahrung, verknüpft. In der Zeit der Könige wandelt sich das Bild vom Reich Gottes bei den Propheten zu der Vision einer Welt der Gerechtigkeit, der Erlösung und Befreiung der Unterdrückten und Getretenen. Als es keine Könige der Israeliten/Juden mehr gab, entstand die messianische Erwartung als eine paradoxe mythologische Vorstellung vom ‘Messias’ als eines idealen Königs, der das Reich Gottes bringen würde, mit welchem die Fremdherrschaften verschwänden.

Die Jesus-Bewegung wollte vermutlich – im Zusammenhang mit der apokapyptischen Vorstellung vom nahe bevostehenden Abbruch der etablierten Welt der Herrschaft – durch aktuelles, in der Tora-Auslegung der Bergpredigt aufgezeigtes, konkretes mitmenschliches Handeln eine ‘messianische’ oder ‘Reich-Gottes-’, d.h. eine radikal alternative, Wirklichkeit in ihrer Gegenwart schaffen. Die Bezeichnung Jesu, der nichts mit einem König oder Herrscher gemein hatte, als ‘Messias’, ist wiederum eine paradoxe Symbolik, die auf alte erinnerte Antikönigstraditionen zurückgeht.

 

Bei Pixley gibt es einige interessante Deutungen zu Inkarnation, Tod und Auferstehung:

Die Inkarnation ist eine spätere Reflexion darüber, wer dieser ungewöhnliche Mensch gewesen sein mochte, der ohne Furcht eine andere Gesellschaft inmitten dieser ankündigen konnte.[18] Sohn Gottes war in alter Zeit eine häufige Bezeichung für die Könige in Ägypten und auch Mesopotamien. Wenn man Jesus so genannt hat, dann war es nur – in Assoziation an den messianischen König im Psalm 72 – eine andere Bezeichnung für Messias. Für Paulus habe das Leben Jesu keine Heilsbedeutung gehabt, sondern nur sein Tod am Kreuz. Aber aus der Perspektive der Befreiungstheologie und der Armen ist das alles, einschließlich des Todes, auf das Leben bezogen: Inkarnation ist die leibhaftige Verwirklichung des “Sohnes Gottes des Reiches”, nämlich messianischer Realität. Und der Tod Jesu war eine Folge der Reaktion der Reichen und Mächtigen.[19]

Die Behauptung des Paulus, Jesus habe sich im Tod für ‘uns’ hingegeben, deutet Pixley dahingehend, daß Jesus die Risiken akzeptierte, welche es mit sich brachte, inmitten einer Gesellschaft, wo die Reichen und Mächtigen den politischen Apparat und auch die Religion beherrschten, vom Gott der Armen zu reden und dies zu leben.[20]

Wie deutet Pixley nun die Behauptung des Paulus im Korintherbrief, Christus sei für unsere Sünden gestorben? Diese Behauptung wurde mit der alttestamentlichen Vorstellung vom leidenden Gerechten, vom Gottesknecht, verknüpft, der stellvertretend für andere leidet. Anselm von Canterbury und viel später Karl Barth haben dann die Sühnetheorie entfaltet, derzufolge nur Gott die Sühne für die Sünden der Menschen leisten konnte (wegen der Schwere der Sünden), aber de jure nur ein Mensch (da es sich ja um die Sünden der Menschen handelte), dies tun mußte, und daß Gott schließlich Mensch wurde, um auf diesem einzigen verbleibenden Wege, selber sühnend, als Gott-Mensch leidend und sterbend, die Menschen zu erlösen. Pixley nun hält nichts von solcher Sühnetheorie. Deren Schuldverständnis habe mit dem Feudalismus zu tun; dagegen zeige der Kapitalismus eine Form von Verschuldung, die von den Reichen verursacht werde und diesen diene.

Die Stärke Gottes zeige sich – so sagt Pixley mit Paulus – in der Schwäche, die Erlösung Gottes im offensichtlichen Scheitern und in der Armut. Der Weg Gottes, den auch Jesus gegangen sei, bestehe im Gegensatz zum Wege der Macht und des Reichtums, des Königtums Davids und Salomos, in der Schwäche und Armut. Es sei der Weg der Solidarität unter Armen. Nur in diesem Sinne konnte “Christus”, indem er für die Armen gestorben ist, so paradox wie das klingt, erlösend handeln.[21]

Auferstehung bedeute für die Armen in Lateinamerika Neugeburt der Hoffnung. Dies sei Zentrum des Glaubens, Symbol der Erneuerung und Affirmation des Lebens innerhalb des auferlegten Todes angesichts inhumaner Lebensbedingungen. Pixley betont, daß die Auferstehung keine einfache Afirmation des Lebens ist, sondern eine solche angesichts des vom System auferlegten Todes.[22]

 

 

3.4. Nancy E. Bedford: Der hartnäckige Trotz der Auferstehung[23]

 

Eine Methode aus dem Feminismus, die Bedford verwendet, ist die cotidianeidad, die Alltäglichkeit oder Alltagshaftigkeit. Dabei geht es nicht darum, die großen Strukturen der Menschheit und der Geschichte, sowie die Visionen der Religion und der Aufklärung, die “Großerzählungen”, wie z.B. den Exodus, zu vernachlässigen, sondern sie im konkreten Leben zu thematisieren und zu leben, so im Alltag das “Normale” wie beispielsweise patriarchale Strukturen aufzubrechen, das passive Sich-Abfinden zu attackieren und befreiendes Handeln und Denken zu initiieren. Wie die Theologie der Briefe Bonhoeffers aus dem Gefängnis verweigert Bedford sich der Flucht und der Jenseitsvertröstung. Auf die Frage ihrer Kinder nach der “Auferstehung”, die diese zunächst ‘jenseitig’ behandeln, entsteht im Dialog die Antwort: “ni vómitos ni balas”, ‘kein Erbrechen und keine Gewehrkugeln’. Und durch die Stille (“Stille des Dialogs”) hindurch, die sie sich mitten im Alltag immer wieder nimmt, um inmitten des Lärms und der Zerstreuung durch das Kinderspiel sich auf die Gotteserfahrung im Alltag konzentrieren zu können, um gewahr zu werden, was “Gott uns mitteilen will”, versteht sie dann plötzlich, daß der Neue Himmel und die Neue Erde eine Welt sein muß, wo es weder Kotzen noch Gewehrkugeln, weder Schrecken noch Krieg gibt. Wie beim späten Bonhoeffer ist für sie Gott nur mitten im Leben jenseitig, das ganz Große im ganz Kleinen gegenwärtig (und nirgendwo sonst), es geht ums Diesseits; hier beginnt eine weltliche und auf den Alltag bezogene Interpretation biblischer und theologischer Begriffe.

Ein anderes Kapitel[24] beginnt mit der Frage eines ihrer Kinder, woran man eigentlich wisse, wer in einem Kriege gewonnen habe. Nach einem nicht sehr befriedigenden Dialog erinnert sie zunächst, was im Irak-Krieg geschehen ist, wie die Lügen von Bush, daß es in einem “freien” Irak keine Morde an Dissidenten mehr und keine Folter geben werde, die vielen toten US-Soldaten und die viel mehr Opfer unter der dortigen Bevölkerung, die tatsächlich geschehene Folter und die Armut im Land. Daraufhin bringt sie als Theologin die “Torheit des Kreuzes” ins Spiel, welche das vermöge, was die “Realpolitik” sowie rohe Kraft und Gewalt nicht können: über den Tod triumphieren. So gelangt sie zur Antwort auf die Frage ihres Kindes: Wir wissen, daß einer den Krieg “gewonnen” hat, wenn er bereut, Gewalt angewendet zu haben, sich entschuldigt, sich für seine Fehler verantwortlich macht und versucht, möglichst viel wieder gut zu machen für diejenigen, die aufgrund seiner Schuld leiden.

Bezüglich einer Theologie des Kreuzes kritisiert Nancy E. Bedford mit dem Befreiungstheologen Sobrino die “Sühnetheorie” dafür, daß bei einer solchen Kreuzestheologie das Leben Jesu relativiert werde. Dadurch werden die politische Realität, die Armen, die Frauen, die Leidenden ausgeblendet. Sie kritisiert jede Art von Kreuzestheologie, insofern diese einerseits einen imperialen Triumphalismus und andererseits eine Haltung der Einwilligung in das Leiden rechtfertigt, die Armen sozusagen in ihre Kreuzigung einwilligen läßt, anstatt aufzuerstehen. Nachfolge, so zu leben wie Jesus, das betont sie wie Pixley, impliziere Risiken. Es gehe aber – und das zeige das Zeugnis der Märtyrer – um die Treue zu einer Art zu leben und nicht um eine Verliebtheit in Leiden und Tod.[25]

Bedford interpretiert, so meine ich ihre Gedanken auf den Punkt bringen zu können, “Christologie” als “Nachfolge”, d.h. das ‘Heil’ kommt nicht von einem metaphysischen Heilshandeln Christi, sondern von der Praxis der Menschen.

Was aber konkret eine mitfühlende und vor allem protestierende Theologie des Kreuzes sein muß, thematisiert Bedford in Bezug auf die Frauenmorde in Ciudad Juárez, im Norden Mexikos:

In dieser Stadt wie auch im übrigen Lateinamerika sind seit 1993 Tausende von Frauen und Mädchen ermordet und viele von ihnen gefoltert und vergewaltigt worden. Kreuzestheologie bedeute Solidarität mit ihnen, heiße zu zeigen, daß Jesus jung, arm und braun war, als er gekreuzigt wurde, wie jene Maquiladora-Arbeiterinnen aus Ciudad Juárez. Viele der ermordeten Frauen waren selber Mütter; deren Mütter, Großmütter, fordern nun trotz Morddrohungen Gerechtigkeit und ein Ende der Straflosigkeit; sie haben in vielen Teilen der Stadt Kreuze aufgestellt. Aus dem Schmerz entsteht eine Volkstheologie, die das Leiden Jesu mit dem aktuellen Leiden verbindet.[26] – Eine vergleichbare Verknüpfung kenne ich aus der indigenen Gemeinde Acteal in Chiapas/Mexiko, wo in Gottesdiensten das “Blut Jesu” mit dem Blut der bei dem Massaker 1997 Ermordeten in einen Zusammenhang gebracht wird. Das ist nicht Opfertheologie, sondern Protest gegen das Opfer.

Auferstehung, die Bedford mit “Aufstand” assoziiert (im Spanischen: resurrección und insurrección), bedeutet für sie nicht Triumphalismus, sondern Nachfolge. So wie Tiemo Rainer Peters Auferstehung als Umkehrerfahrung bezeichnete, und die christliche Botschaft als die Forderung interpretierte, “das Undenkbare [zu] tun”, betont auch Bedford, daß es nicht darum gehe, die Auferstehung zu verstehen, sondern in Nachfolge zu leben. Und das heiße vor allem Praxis der Gerechtigkeit den Opfern gegenüber.[27]

Schließlich sieht Bedford eine “Wahlverwandtschaft” zwischen Theologie und der kritischen Theorie der Gesellschaft.[28] Theologie solle eine kritische Theorie zum Ruhme Gottes sein. Um dies genauer zu erklären, zitiert sie das Wort des Irenäus von Lyon: gloria dei vivens homo, der Ruhm Gottes ist der lebendige Mensch. Erzbischof Romero habe dieses Wort zu gloria dei vivens pauper, der Ruhm Gottes ist der lebendige Arme, variiert, und Bedford selber sagt: gloria dei vivens mulier, der Ruhm Gottes ist die lebendige Frau. Das alles deutet auf eine Theologie als Dialektik, verstanden als Gespräch, als Auseinandersetzung zwischen der Rede vom Ruhme Gottes, der sich im Heil und in der Lebendigkeit des Menschen, des Armen, der Frau zeigt – oder auch nicht zeigt, fehlt, zu vermissen ist, einerseits, und der Realität der Unterdrückung, Entwürdigung, Verarmung, des Sexismus und der Erniedrigung des Menschen, und insbesondere der Armen und der Frauen andererseits. In einer Situation der Ungerechtigkeit und der strukturellen Verneinung des Lebens bedeutet Theologie Spannung, Widersprüchlichkeit, und diese wiederum finden einen Ansatz zur Auflösung in – um wieder mit den Worten Tiemo Rainer Peters’ zu sprechen – emphatischer Mystik als Leidwahrnehmung und in leidenschaftlicher Praxis.

Dort, wo Nancy E Bedford kritische Theorie, Feminismus und Theologie miteinander ins Gespräch und in die Auseinandersetzung nimmt, da streift sie die Ideen des verwundeten Körpers, des Leibes Christi und der Auferstehung des Fleisches.[29] Theologie, besonders die feministische, müsse eine Theologie des Körpers sein. Der verwundete Körper deutet auf das menschliche Leiden vom gekreuzigten Jesus bis zu den ausgebeuteten und ermordeten Frauen heute. Auferstehung des Fleisches gibt es dort, wo Menschen gegen das Unrecht protestieren und eine andere mitmenschliche Realität verwirklichen. Und der ‘Leib Christi’ (eine materielle Wirklichkeit des Messianischen) ereignet sich, wo aus der Erinnerung aus dem verwundeten Körper heraus – von den Sklaven in Ägypten über die von den Propheten erwähnten Schuldsklaven, über Jesus, bis hin zu den heutigen Arbeiterinnen in den Maquiladoras – eine Praxis des ‘Exodus’, des Bruches mit der bisherigen Realität der Unterdrückung, gelebt wird.

 

 

4. Teología india – indianische Theologie

 

Jede Theologie ist kontextuell, wenn sich auch nicht jede dessen bewusst ist, hat aber einen universalen Anspruch, meint also, etwas Relevantes für die Menschen überhaupt zu sagen. Die Befreiungstheologie entstand hauptsächlich in Lateinamerika, wenn es auch andere, woanders liegende Quellen und Ziele gibt. “Indianische” Theologien (teología india, teología andina) haben ihren Ursprung außerhalb der europäisch-okzidentalen und christlichen Sinnwelten. Sie sind davon geprägt, daß die christliche und die westliche Kultur auf koloniale Weise in sie eingedrungen sind und sie abgewertet und zum Teil vernichtet haben. Es handelt sich um Theologien, Praktiken, Deutungsformen, die in Resistenz zugleich einen Dialog mit dem Christentum und der okzidentalen Welt suchen und ihre Stimme über ihren jeweiligen lokalen oder kulturbezogenen Horizont hinaus in einen universalen Diskurs einbringen.

Die “teología india”, ‘indianische Theologie’, lernte ich unter diesem Namen als Praxis des Austausches und des Dialoges zwischen Christentum und indigener Maya-Religion bzw. -Kosmovision in Chiapas, im südöstlichsten Bundesstaat Mexikos an der Grenze zu Guatemala, kennen. Vergleichbare Praktiken gibt es unter dem etwas paternalistischen Namen pastoral indígena, indigene Pastoral, in verschiedenen Gegenden Lateinamerikas, so (soweit mir bekannt) in Bolivien und Costa Rica. Die Art und Weise, wie sich die christliche und indigene Welt aufeinander beziehen, ist aber nicht eindeutig und wird von verschiedenen Akteuren höchst unterschiedlich interpretiert. Bischof Samuel Ruiz, der jahrzehntelang die indigene Bevölkerung in ihren Rechten unterstützte und denen, die keine Stimme hatten, eine Stimme gab, denkt dennoch – ähnlich wie die pastoral indígena – paternalistisch. Er wie auch andere Priester, die zur Bewegung der teología india gehören, tendieren dazu, so wie es in der katholischen Kirche immer üblich war, das Christentum als die eigentliche Wahrheit hinzustellen, aber dann innovativer- und mutigerweise viele fremde indigene kulturelle und religiöse Elemente und Ausdrucksformen darein zu integrieren. Ein Theologe, der mit Samuel Ruiz zusammenarbeitete, sagte, jedes Volk habe sein eigenes Altes Testament. Er argumentiert in derselben Denkstruktur wie die Modernisierungstheorie, hier in dem Sinne, daß alle indigenen Völker einen gewissen Anteil an der Wahrheit bereits haben, der dann jedoch vom Lichte Christi überstrahlt und aufgehoben (auf eine höhere Stufe gehoben und dadurch relativiert) würde. Es kommt nicht zu einem wirklichen Dialog mit dem Anderen; sondern teología india ist für sie das System des Eigenen, der christlichen Religion und Theologie, in welche hinein der, die und das Andere integriert werden.[30]

Bei manchen indigenen Stimmen selber ist es genau umgekehrt. Sie sind dem Christentum gegenüber, welches nach der Eroberung Amerikas das Kreuz zusammen mit dem Schwert brachte, immer noch skeptisch. Dennoch öffnen sie sich einem Austausch und gemeinsamer Praxis. Dabei verstehen sie unter dem Begriff teología india jeweils die eigene religiöse, spirituelle und kulturelle Tradition der Maya, welche sie dann mit der christlichen Religion und der Bibel, die sie als den anderen Pol wahrnehmen, ins Gespräch bringen. Mit Vergnügen ziehen sie die indigene der christlichen Tradition vor.[31]

Andere indigene Personen wiederum definieren die teología india direkt als gleichberechtigten Austausch und als Miteinander zwischen christlicher und indigener Tradition. Sie sehen dies als gelebte Alternative zur Missionspraxis der Vergangenheit. Ein besonders anschauliches Symbol ist für sie ein Maya-Tempel, den die Spanier nach der Kolonisierung zu zerstören suchten. Es gelang ihnen nicht vollständig, und ein großer Teil des Tempels, vor allem das ganze Fundament, blieb bestehen. Darüber bauten sie eine Kirche. Heute zeige dieser Bau, so sagten meine befragten Gesprächspartner, daß in einem Hause beides Platz habe, die indigene und die christliche Tradition, ja daß beide zusammen ein Gebäude bilden.[32]

Ein anderer Aspekt der teología india besteht darin, das Christentum von den je eigenen indigenen Lebens- und Deutungsweisen her neu zu interpretieren, ganz im Sinne der Uminterpretationen und der Aneignung, wie ich sie auch bei kirchlichen Basisgemeinden in Mexiko Stadt, Cuernavaca und einmal auch bei einer indigenen Gruppe in Bolivien kennengelernt habe.[33] So entsteht im Namen der teología india eine neue Praxis der Verbundenheit der Menschen untereinander, mit der Natur und mit der Erde, ein “Projekt des Lebens”, das kreativ und in Protest dem “Projekt des Todes” des Kapitalismus und Neoliberalismus entgegengesetzt wird, eine Verbindung von politischem Handeln mit inniger Spiritualität, im Zeichen eines “neuen Herzens”. Und in dieser Praxis scheint eine strenge Unterscheidung zwischen Christentum und Maya-Kosmovision nicht mehr so wichtig zu sein, da es hier kein Konkurrenzdenken, sondern ein Wir-Gefühl mit allem Lebendigen gibt.[34]

 

Bei Gedenkgottesdiensten an das Massaker in Acteal, welche in diesem Ort selber stattfanden, habe ich Aktivitäten der teología india erlebt: hier veranstalteten Menschen aus Acteal und umliegenden Gemeinden zuerst am Vorabend des Gedanktages einen Gottesdienst. Dabei sagten sie: Wir verbinden uns mit Gott. Auch mit der Mutter-Erde. Diese ist traurig, wenn Krieg ist. ‘Wir Menschen sind aus Mais gemacht. Hier haben wir den Mais. Wir tanzen, um in unserem Kampf, in unserer Bestrebung um eine andere Gerechtigkeit Hoffnung zu schöpfen, ein Gleichgewicht zu finden.’ Und sie luden alle ein, mitzutanzen zu einer sehr eintönigen und eigenwilligen Musik.

Alle hatten Kerzen in der Hand. Dann folgte die (aus meiner Perspektive so nennbare) ‘Kommunion’. Die Gemeinde teilte mit allen Anwesenden Maistortillas. Und sie sagten: die Machthaber und Reichen teilen nicht, sondern behalten für sich, aber wir Armen teilen! Ein Chor sang Lieder über die Kämpfe der Menschen, über Befreiung, nicht im Stile von Kampfliedern, sondern eher meditativ. Es war eine Verbindung von Mystik und Politik, Kampf und Kontempation.

Am folgenden Morgen wurde ich früh wach; man hatte im Dorf schon früh um 5 angefangen, Musik, Gebet, Ansprachen u.ä. durchzuführen. Gegen 6 schaute ich es mir an. In einer kleinen neu gebauten Steinkirche mit Wellblechdach machten ein paar Leute traditionelle Musik mit einer Art Geige, einer Art Gitarre und einer Art Harfe, außerdem einer Trommel und einer dünnen und hohen Flöte. Dazu wurde wieder getanzt. Woanders machten danach einige Personen laute Musik mit Verstärker; es wurden immer wieder Reden gehalten über das Massaker, auf Zotzil und wegen der Gäste auch auf Spanisch. Zwischendurch konnten wir Kaffee trinken (der jeweils in einem großen Topf gekocht wurde) oder auch etwas essen. Ich hatte das Gefühl, ein anderes Verhältnis zur Zeit zu bekommen, über Stunden einfach dasein zu können, ohne etwas bestimmtes machen zu müssen. Nach 5 Tagen mit dichtem Nebel war die Sonne wieder aufgegangen, und es öffnete sich ein weiter Blick über Täler, in denen noch der Nebel wie ein sich verzweigender weißer See lag. Dann gingen wir alle zu Fuß an einen Ort in der Nähe, wo eine Andacht begann, wieder in Tsotsil, mit kurzer Übersetzung: „Wir schaffen eine neue Geschichte. Nicht mit den Reichen, nicht mit den Machthabern. Nicht mit den Mördern. Zwar gibt es auch viele, die mit der Regierung mitmachen (sich verführen lassen), aber hier und dort, überall in Mexiko gibt es diejenigen, die ihre Stimme erheben. Sie wollten uns in Acteal auslöschen, aber sie haben es nicht geschafft, denn Gott ist mit uns.“

Dann erst begann eine längere Messe, wo auch zwei Bischöfe dabei waren. Beim Gottesdienst wurde u.a. ein Rollenspiel durchgeführt, wo Kinder spielten und dann von Paramilitärs angegriffen wurden. Dann spielten sie einen zweiten Durchgang, wo die Kinder die angreifenden Paramilitärs wegjagen.

Eine Frau sagte: wir vertrauen in Gott und in das organisierte Volk, das kämpft…Sie betonte, dass der Weg zum Frieden der Frieden sei, und sagte: ja, wir wollen eine neue Revolution, aber eine gewaltlose Revolution, damit wir Frieden und Gerechtigkeit erreichen. Am Ende äußerte jemand: Die Wunde bleibt offen und schmerzhaft. Aber: das Reich Gottes ist unter uns.

Im Vergleich zu uns aufgeklärten Europäern sind die Leute hier vielleicht naiver, aber weniger banal.

 

Aus christlicher und europäische Perspektive muß auf den Anspruch totaler Identität, welcher die Herrschaft über die Anderen legitimierte, verzichtet werden, nicht aber auf die Sinnwelten der eigenen Herkunft. Sondern es käme darauf an, diese um seiner selbst und der Andern willen zu erneuern und zu humanisieren. Das bedeutet vor allem, auf jeden Herrschaftsanspruch und das Wahrheitsmonopol sowie Eurozentrismus[35] zu verzichten. Es heißt auch, die Mission sein zu lassen und anstattdessen mit anderen Religionen und Kulturen ins Gespräch zu kommen. Oder in dem Sinne, wie J.B.Metz bezüglich des christlich-jüdischen Gespräches nach Auschwitz sagte, man biete Opfern keinen Dialog (großmütig) an, sondern müsse ihnen endlich einmal zuhören[36], so muß dasselbe für das Gespräch zwischen Christen und Menschen indigener Religion oder Kosmovision gelten: ‘wir’ müssen ihnen zuerst zuhören. Dabei bedarf es der Rehistorisierung[37], der Selbstveränderung im Eingedenken der Bedingungen der Geschichte der Kolonisierung, des Mordes und der Versklavung, wie der Missionierung der indigenen Bevölkerung, unter denen sich die Menschen entwickeln konnten und mußten; so ein Gespräch müßte das “verwundete Gedächtnis”[38] des Gegenübers respektieren.

Diese Bewegung, die Maya- und andere indigene Traditionen mit Befreiungstheologie und Basisgemeinden verbindet, ist ein fruchtbarer Aufbruch und eine Alternative zur Geschichte der Kolonisierung. Gerade im befreiungstheologischen Kontext ist es daher angebracht, auf die indigenen Stimmen, die selber ins Gespräch gehen, zu hören und das ‘Dialogangebot’ anzunehmen.

 

[1]Dietrich Bonhoeffer: Briefe aus dem Gefängnis, Brief vom 8.6.44.

[2]Informationen dazu unter:

http://warc.jalb.de/warcajsp/side.jsp?news_id=1174&&navi=46 (30.9.2012).

[3]In diesem Kapitel orientiere ich mich besonders an der Einführung in die Befreiungstheologie und verwende auch Zitate aus: GER (Grupo de Estudio y Reflexión): Esperanza contra esperanza. Teología de la liberación, Cuernavaca (Mexiko) 1991.

[4]Auch abgesehen davon, daß Gutiérrez durchaus einen Unterschied zwischen “Erlösung” und “Befreiung” machte, ist ein solcher Vorwurf angesichts der Leidenden zynisch.

[5]GER (Grupos de Estudio y Reflexión): Fé y Política, Cuernavaca (Mexiko) 1987: aufgezeichnete Vorträge von Frei Beto, Pablo Richard und Leonardo Boff vom 9.12.1986 in Cuernavaca, S. 31.

[6]In diesem Absatz orientierte ich mich an Leonardo Boff: Eclesiogénesis: las comunidades eclesiales de base re-inventan la iglesia, in: Servir Teología y Pastoral (Zeitschrift der Theologie und Pastoral), Jahr XII (1976), Nr. 65/66, 401-446.

[7]In diesem Absatz orientierte ich mich an:

Leonardo Boff: Eclesiogénesis: las comunidades eclesiales de base re-inventan la iglesia, in: Servir Teología y Pastoral (Zeitschrift der Theologie und Pastoral), Jahr XII (1976), Nr. 65/66, 401-446,

Pedro A. Ribeiro de Oliveira: La posición del laico en las comunidades eclesiales de base, in: ebd., 447-466,

Carlos Mesters: La Biblia en manos del pueblo, in: ebd., 483-506.

[8]GER (Grupos de Estudio y Reflexión): Comunidades Eclesiales de Base, Cuernavaca (Mexiko) 1997 (erste Ausgabe 1992).

[9]Hier verwende ich wieder und entnehme Zitate aus der Einführung in die Befreiungstheologie des: GER (Grupo de Estudio y Reflexión): Esperanza contra esperanza. Teología de la liberación, Cuernavaca (Mexiko) 1991.

[10]Hier wird das alte traditionelle Wort Sünde in einem neuen, nicht individuellen, sondern sozialen, sowie nicht moralistischen, sondern befreienden Sinne verwendet, aber es bleibt der humane Teil der Bedeutung, der auf die Verantwortung des Menschen für sein Handeln anspielt und ihm dadurch auch seine Freiheit und seine Größe läßt, im Gegensatz zu der Rede von “sozialen Mechanismen” oder der Entschuldigung von allem mit der “Natur des Menschen”.

[11]Hier orientiere ich mich vor allem am Buch von Hugo Assmann: Economía y Religión, San José, DEI, Costa Rica 1994, Originalausgaben auf Portugiesisch: São Paulo, Brasilien, 1990/91.

[12]Das kann vielleicht als zynisch mißverstanden werden, müßte aber heißen, daß Spiritualität gerade in der Sensibilität für das “materielle” Wohl und Wehe der Mitmenschen besteht.

[13]Franz J. Hinkelammert: La fe de Abraham y el Edipo occidental, Costa Rica (DEI) 1991.

[14]Vorlesung 2010 in der UNAM, Mexiko Stadt.

[15]Die befristete Zeit ist nach Jacob Taubes die Zeit, in der man noch handeln kann.

[16]Vorträge dieser beiden Personen Ende September 2010 in Mexiko Stadt.

[17]Hier folge ich dem Buch von Jorge Pixley: Biblia, Teología de la liberación y Filosofía procesual. El Dios liberador en la Biblia, Quito (Ecuador) 2009.

[18]Jorge Pixley: Biblia, Teología de la liberación y Filosofía procesual. El Dios liberador en la Biblia, Quito (Ecuador) 2009, 126.

[19]Ebd., 128.

[20]Ebd., 135-7.

[21]Ebd., 137-41. “Gestorben”, das muß wohl heißen: indem er für die Armen, mit ihnen, in Solidarität mit ihnen, gelebt und die daraus folgenden Konflikte mit den Machthabern in Kauf genommen hat. Und “Christus”, also “messianisch”, ist nicht Jesus gleichsam als Privatperson persönlich, sondern die sich in Begegnungen und in der Gemeinde ereignende (Brotvermehrung, Krankenheilungen, gemeinsames Mahl mit Jüngern, Sündern und Zöllnern, usw.) “messianische” Praxis.

[22]Ebd., 141-3.

[23]Nancy E. Bedford: La porfía de la resurrección. Ensayos desde el feminismo teológico latinoamericano, Buenos Aires 2009.

[24]Ebd., 49-55.

[25]Ebd., u.a. 100, 110, 119, 166.

[26]Vgl. ebd., 143-9

[27]Vgl. ebd., 149-56

[28]Vgl. ebd., 221ff.

[29]U.a. Nancy E. Bedford: La porfía de la resurrección. Ensayos desde el feminismo teológico latinoamericano, Buenos Aires 2009, 239f.

[30]Samuel Ruiz in Zusammenarbeit mit Carles Torner: Cómo me convirtieron los indígenas, Cantabria (Spanien) 2003. Die Metapher des Alten Testamentes erscheint auf S. 26.

[31]Jorge Martínez: El cristianismo y las culturas indígenas. Del intento de acabar con ellas al milagro de su resurrección, San Cristóbal de Las Casas (Chiapas, Mexiko) 2010. Darin Interviews mit indigenen VertreterInnen der teología india 168-180.

[32]Interviews, die ich 2007 mit VertreterInnen der teología india in San Cristóbal de Las Casas durchführte.

[33]Forschungsaufenthalt 2007 in Bolivien und Arbeitsjahr in Mexiko Okt. 2009 bis Sept. 2010.

[34]Schlußdokument des Primer Encuentro Mesoamericano de Teología India. Mensaje final. Tierra del Maíz, Huehuetenango, Guatemala, 4. April 2008, und:

Pedro Gutiérrez Jiménez: Flores y frutos de nuestra espiritualidad y teología maya-cristiana,

beide Artikel in der mexikanischen Zeitschrift: Christus. Revista de teología, ciencias humanas y pastoral; Ausgabe des September und Oktober 2009: Pueblos mayas, zapatismo e Iglesia católica. Espiritualidad india – Acción pastoral en los municipios autónomos.

[35]Europa zu “provinzialisieren”, wie es das postkoloniale Denken fordert, ermöglicht ein erneuertes Selbstverständnis, das überhaupt erst dem Anderen begegnen kann. Vgl.: Chakrabarty, Dipesh: Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in: S. Conrad / S. Randeria (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt / New York 2002.

[36]J. B. Metz: Christen und Juden nach Auschwitz, in: Ders.: Jenseits bürgerlicher Religion, München 1980.

[37]Vgl. Wolfgang Jantzen: „Es kommt darauf an, sich zu verändern…“. Zur Methodologie und Praxis rehistorisierender Diagnostik und Intervention, Gießen 2005.

[38]Vgl. Jean Ziegler, Vortrag in Weimar: “Der Hass auf den Westen”, 16.10.2010.

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