Krieg oder Frieden

18.7.23

Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages!

Mit teils Angst und teils Ärger sehe ich die zunehmende Kriegspolitik. Da ich Sie mit gewählt habe (wenn auch nicht jede einzelne Person und Partei), habe auch ich die Macht an Sie delegiert. Daher bin ich mit verantwortlich dafür, wie Sie mit dieser Macht umgehen und will Ihnen meine Kritik äußern.

Ein weiterer Grund ist, dass ich Theologie und Entwicklungspolitik studiert habe und über Jahre in Bereichen der Friedensarbeit, der Menschenrechtsbegleitung, tätig war.

Wenn Sie im Einklang mit der EU und den USA eine zunehmende Bewaffnung der Ukraine fördern und verwirklichen, dann trägt dies m.E. zur Eskalation, zur Verschlimmerung des Krieges bei und nicht zum Frieden oder zu einer guten Lösung, wie Sie irrtümlicherweise glauben oder zu denken scheinen. Sie können von Eugen Drewermann, der Jahrzehnte lang über Krieg und Frieden geforscht hat, lernen, dass der Krieg durch eine “Spirale der Angst” funktioniert. Jede Seite fühlt sich durch die andere bedroht, und dadurch dass man mit der je anderen Seite nicht vertraut ist (und das verschlimmert sich, solange es keinen Dialog gibt), steigert sich die Angst in der Phantasie ins Unendliche oder jedenfalls oft in absurde Dimensionen hinein. Russland hat mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, nachdem die NATO und die USA seit den 1990er Jahren ihre Präsenz immer weiter nach dem Osten ausgedehnt haben. Sie haben Russland dadurch immer mehr Anlass gegeben, sich bedroht zu fühlen. Die westliche Welt übersteigert wiederum ihre Angst vor Russland und neigt manchmal dazu zu phantasieren, dass Russland womöglich ganz Europa erobern wolle.

Wenn Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, dann trägt unser Land dazu bei, dass immer mehr Menschen erschossen werden, schwer verwundet mit lebenslangen Folgen, Arme und Beine verlieren, furchtbare Schmerzen und Angst und Traumata erleiden. Sind Sie sich dessen bewusst, dass Waffen Tötungsinstrumente sind, Maschinen um andere Menschen zu ermorden? Es wird Land gewonnen um den Preis, dass die je eigene Seite dazu in der Lage ist, mehr Menschen zu ermorden (und schwer zu verwunden), als die andere Seite dies in umgekehrter Richtung vermag. Und diese Dynamik steigert sich auf beiden Seiten in der Kausalität einer positiven Rückkopplung. Wie können Sie allen Ernstes diese mörderische, furchtbare Praxis mitmachen und unterstützen? Normalerweise versuchen wir mit aller Intelligenz und wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten, solche Katastrophen unter allen Umständen zu verhindern, z.B. im Straßenverkehr, oder zu heilen, und dafür wird eine ganze Medizin erfunden, aber hier in der Kriegspolitik fördern wir mit aller Wissenschaft und Technik die menschliche und mitmenschliche Katastrophe.

1. Mein erster Vorschlag an die Politik ist es, keine militärische Praxis mehr zu unterstützen, das heißt, sowohl die NATO zurückzuziehen, als auch die Ukraine dazu aufzufordern, jegliche militärische Handlungen zu beenden. Was für ein Szenario könnte dann zu erwarten sein? Im schlimmsten Falle würde Russland einen Teil der Ukraine dann annektieren. Wir dürften nur noch mit gewaltlosem Widerstand handeln und im Falle ungerechter Handlungen von Seiten Russlands “mit Worten kämpfen”, also öffentlich und politisch protestieren und die Solidarität der Weltgemeinschaft aufrufen. Was aber wirklich passieren würde, wissen wir nicht. Ich vermute eher, dass Russland dann weniger Grund hätte, den Krieg fortzusetzen, weil die (real mögliche plus durch Imagination womöglich übersteigert vorgestellte) Bedrohung aus der westliche Welt wegfiele.

2. Meine zweiter Vorschlag bezieht sich auf aktive Friedensarbeit angesichts auch von Aspekten wirtschaftlicher und kultureller/politischer Hegemonietendenzen und Interessen. Es gibt sicher Interessen und Hegemoniewünsche auf Seiten der USA, auf Seiten Europas, auf Seiten der Ukraine und auf Seiten Russlands. Dabei geht es um wirtschaftliche Ressourcen wie z.B. fruchtbares Land (von dem es in der Ukraine viel gibt) und Bodenschätze, also um die knapper werdenden Reichtümer der Natur (die durch die Umweltzerstörung noch schneller knapp werden). Außerdem geht es um kulturelle Einflüsse, um die je eigene Bedeutung. All das können legitime Interessen sein, wenn wir sie dialogisch aushandeln. Aber meistens handeln viele politische Gemeinschaften, seien es Staaten oder Konföderationen wie die EU, sehr egoistisch. “Die Weltgeschichte hat noch nicht begonnen”, schrieb der chinesische Philosoph Zhao Tingyang, und er meint damit, dass es noch keine Weltpolitik gibt, sondern jedes Gemeinwesen egoistisch die eigenen Interessen gegen die anderen vertritt, so wie wir es manchmal bei kleinen Kindern beobachten können. Die Menschen aller politischen Gemeinschaften brauchen ökonomische Ressourcen, um gut leben zu können, für die Ernährung, den Bau von Infrastruktur usw. Die einzige Möglichkeit, diese Fragen human zu klären, ist der Dialog, das Aushandeln. Es wird also notwendig werden, dass Entscheidungsträger Europas, der Ukraine, Russlands, später gegebenenfalls die USA und andere Partner, z.B. China, Afrika, Indien (die USA müssten nicht dabei sein, da sie sich in einem anderen Kontinent befinden; falls es aber Interessenkonflikte mit ihnen gibt, dann müssen sie unbedingt an den Verhandlungstisch, um diese vitalen Fragen zu klären), sich zusammensetzen und verhandeln, wie mit den Ressourcen umgegangen werden soll, wie zwischen den Ländern und Kontinenten gehandelt wird; wie sich Regionen und Länder schützen können, wenn deren wirtschaftliche Souveränität durch Handel oder Investitionen aus anderen Gebieten in Frage gestellt wird, usw. Nur wenn wir bei unterschiedlicher wirtschaftlicher Stärke (die immer gegeben ist) alle Stimmen gleich achten und einen Konsens suchen, können wir zum Frieden finden, und dann wird es auf den unterschiedlichen Seiten immer weniger Anlass dazu geben, sich bedroht zu fühlen und jemand anderes im Gegenzug bedrohen zu wollen.

Es sind in der westlichen Welt, auch in Deutschland, bereits verschiedene Formen gewaltloser Kommunikation und Konfliktlösung erfunden worden. Eine Form davon, eine Weise des produktiven Umgangs mit Konflikten, habe ich kennen und praktizieren gelernt, das sogenannte “Faire Streiten”, das in Münster entwickelt wurde. Bei Interesse kann ich Ihnen sogar einen Workshop in dieser Methode anbieten, weil ich dafür sehr begeistert bin.

In Deutschland gibt es außerdem das Forum Ziviler Friedensdienst, das sich professionell mit der gewaltlosen Lösung von Konflikten befasst. Deshalb erwarte ich von Ihnen, diese Arbeit statt des Militärs zu fördern, um den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, sowie die damit zusammenhängenden Verhältnisse zwischen Russland, Westeuropa und USA ohne Krieg zu lösen und in Zukunft in einen fruchtbaren Austausch zu transformieren.

Der griechische Philosoph Platon verglich vor über 2000 Jahren die Politik mit einem Schiff, dessen Steuermann keine Kenntnis über die Routen hat, auf dem sich aber ein weiser Mann befindet, der über alle wichtigen Kenntnisse verfügt, jedoch nicht zu Rate gezogen wird. Ich würde mich freuen, wenn es mit der Politik unseres Landes anders käme und Sie die wirklich klugen Ratgeber befragten, wie etwa Drewermann, das Forum Ziviler Friedensdienst und andere.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Daniel Stosiek

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